Hartmannswillerkopf – Berg der Erinnerung
Seit einigen Jahren wird ein vereinigtes Europa vor allem als politische Vision und Idee zunehmend in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund und rund hundert Jahre nach dem
Ende des Ersten Weltkriegs habe ich mich intensiv mit dem Hartmannsweilerkopf, einer im Ersten Weltkrieg hart umkämpften Bergkuppe in den Südvogesen auseinandergesetzt.
Dieser Berg gilt als das „Verdun“ der südlichen Frontabschnitte der blutigen Schlachten des Ersten Weltkrieges und gilt vor allem in Frankreich als Mahnmal für sinnlose kriegerische Gewalt zwischen Staaten und Völkern. In Deutschland ist der Berg eher im Südwesten bekannt und auch ich habe ihn und seine Geschichte erstmals als Schüler auf einer Klassenfahrt kennengelernt.
Wie kann ich dessen unzählige Bunkerbauwerke und Stollenanlagen im wahrsten Sinne des Wortes so portraitieren, dass der Berg als lebendiger Ort der Erinnerung wahrgenommen wird, dass diese Bunkerbauwerke und Befestigungen heute Sinn-stiftend für eine europäische Zukunft sein können?
Die Fotoarbeit besteht aus Werkgruppen: Die erste Werkgruppe lenkt den Blick auf die vielen auch heute noch beeindruckenden Bunker- und Stollenbauwerke. Mein Ziel war es dabei nicht, etwa unterschiedliche Bauweisen französischer oder deutscher Stellungsbauten fotografisch vergleichend und dokumentarisch herauszuarbeiten, vielmehr ging es mir um Abstraktion und den Verweis auf eine tiefere Ebene hinter der sichtbaren abgebildeten Realität. Daher sind die Bilder nicht dokumentarisch, gekennzeichnet jedoch durch harte Anschnitte, Gegenlicht, flächige Ansichten ohne ausgeprägte zentralperspektivische Ansichten.
In einer zweiten Werkgruppe konzentriere ich mich auf die am Hartmannsweilerkopf auffällig oft anzutreffenden „deformierten“ Bäume und habe sie als „Baum-Torsi“ portraitiert. Es handelt sich dabei meist um rund 80 bis 100 Jahre alte Laubbäume, die auf Grund des massiven Artilleriebeschusses – die Bergkuppe war 1918 bei Kriegsende praktisch kahl geschossen – unförmig und andersartig gewachsen sind. Meist haben diese Bäume an der Wurzel mehrere Stämme ausgebildet und wachsen oftmals nicht streng nach oben, sondern breiten sich stark horizontal aus. Diese Lebewesen haben tatsächlich alle Grausamkeiten der Schlachten am Hartmannsweilerkopf überstanden. Für mich stehen sie daher sinnbildlich für ein Weiterleben, für ein Überleben. Vielleicht stehen sie dafür, dass das Leben doch stärker ist als alle kriegerische Gewalt und kann man sie sogar als Metapher für Versöhnung deuten?
Beide Werkgruppen, die Bilder der Befestigungsanlagen, der Bunker und die Porträts deformierter Bäume, werden durch Gedichte aus dem Tropfblut-Zyklus „Gedichte aus dem Krieg“ des expressionistischen Dichters August Stramm (geboren 1874, gefallen 1915) ergänzt. Der Autor hatte in den ersten Kriegsjahren als Offizier an der Front in den Südvogesen gekämpft. Sie unterbrechen die Bildserien mit einer verstörenden und aufrüttelnden Dichtung.
Alle Fotografien sind 2016 bis 2018 auf vielen Wanderungen in schwer zugänglichen Berg-Begehungen mit einer großformatigen analogen Fachkamera entstanden. Die Abzüge der Schwarzweißnegative liegen als von mir angefertigte Silbergelatine-Handabzüge im Format 40 x 50 cm passepartouriert vor.
Meine Arbeit möge die Auseinandersetzung mit der kriegerischen Vergangenheit des Ersten Weltkrieges fördern und somit einen Beitrag zur deutsch-französischen, zur europäischen Verständigung, zu einem vereinten Europa als friedensstiftende Idee leisten.
Die Arbeit entstand auf Initiative und Einladung des Landkreises Sigmaringen und dessen Kulturforum. Zusammen mit der Straßburger Fotokünstlerin Nathalie Savey, die wie ich über zwei Jahre am Hartmannsweilerkopf fotografiert hatte, wurden wir eingeladen eine gemeinsame Ausstellung zu gestalten, die im Sommer 2018 in der Kreisgalerie Sigmaringen / Schloss Meßkirch unter dem Titel Wandlungen-Mutations erstmals gezeigt wurde. Im Herbst 2018 wanderte die Schau im Abri Memoire in Uffholtz am Fuße des Hartmannsweilerkopfs. Schließlich wurde die Ausstellung vom 2018 eröffneten Historial auf dem Hartmannweilerkopf übernommen und dort von März bis Juni 2019 präsentiert. Einen weiterführenden Text zu meinen Arbeiten hat Martin Frech verfasst, den Sie hier lesen können.